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Triadische Kompetenz, Triangulierung und Symbolisierung – warum sie so grundlegend wichtig für die psychische Entwicklung sind

Beitrag von Ariane Velten - 11. Juli 2017

Die Entfaltung der eigenen Möglichkeiten hängt von der Entwicklung eines inneren Raumes ab. Wenn dieser noch nicht oder noch nicht genügend ausgebaut ist,kann man sich ihn wie ein Zelt vorstellen, dass ohne Gestänge in sich zusammengefallen auf dem Boden liegt. Schwer sich auszumalen, dass man darin spielen, kreativ sein, lernen, denken oder etwas Neues entwickeln könnte. Sobald man aber das Zeltgestänge aufbaut, entsteht ein dreidimensionaler Raum: psychisch gesehen ein Frei- und Spiel-Raum, um Gefühle verdauen zu können, um schwierige Konfliktsituationen anders bewerten zu können, um herauszufinden, was einem selbst im Leben wichtig ist, und um neue Handlungs- und Gestaltungsstrategien zu entwickeln. Oder ein Freiraum, in dem Unbewusstes auftaucht und verstehbar wird.

 

Triadische Kompetenz

Das metaphorische Zeltgestänge kann man sich als triadische Kompetenz vorstellen. Triadische Kompetenz entwickelt sich, wenn die Eltern hinreichend feinfühlig sind, um zu verstehen, was in ihrem Kind vor sich geht, wenn beide emotional anwesend sind, wenn sie miteinander Zeit verbringen und die jeweils ‚andersartige’ Art und Weise wertschätzen können, wie der jeweilige Partner mit dem gemeinsamen Kind umgeht. In einem solchen Familienklima kann das Kind lernen, sich selbst zu verstehen und sich in andere hineinzuversetzen. Nach einer Longitudinalstudie von K. v. Klitzing und S. Stadelmann, die den Begriff der triadischen Kompetenz geprägt haben, führt eine gute triadische Fähigkeit der Eltern bei ihren Kindern zu weniger emotional auffälligem (zum Beispiel ADHS) und zu mehr prosozialem Verhalten sowie zu einer erhöhten Resilienz gegenüber Stress und zu einem insgesamt verbesserten Familienklima.

Sehr eindrücklich war auch ein Ergebnis dieser Studie, nach welchem sogar die elterliche Fähigkeit zur Triangulierung schon vor der Geburt des Kindes einen nachweisbaren Einfluss auf die triadische Kompetenz des Kindes hatte.

 

Triangulierung

Triangulierung ist notwendig, damit das metaphorische Zeltgestänge tragfähig sein kann. Sie bezeichnet das Hinzukommen des Vaters als Dritten in der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Dieser Dritte öffnet einen Weg aus der engen Beziehung des Kleinkindes mit der Mutter (denn auch heute noch ist die Mutter zumeist die primäre Bezugsperson). Aus der Beobachtung von Säuglingen weiß man, dass Babys von Geburt an sowohl auf die Mutter als auch auf den Vater bezogen sind. Der Dritte spielt also von Beginn an eine entscheidende Rolle und hilft dem Baby dabei, sich in einem Beziehungsgeflecht zu bewegen. Dies bedeutet zunächst vor allem: Nähe und Distanz zu regulieren. Eine weitere Bezugsperson zusätzlich zur Mutter zu haben, ermöglicht es also, sich von ihr zu lösen, ohne Angst haben zu müssen, dass dieses Abwenden von der Mutter zur Folge hat, fallen gelassen zu werden. Das Kind lernt, dass eigene expansive oder sich zurückziehende Bewegungen erlaubt sind, auch wenn diese den Wünschen der Mutter entgegenlaufen. Dies stellt eine sehr wichtige Erfahrung dar, die u. a. die Entwicklung der Fähigkeit ermöglicht, sich selbst als eigenständiges und zugleich verbundenes Wesen zu erleben.

J. Grieser zeigt in seinem Buch „Die Architektur des inneren Raumes“ die Dialektik zwischen Individuation und Bindung in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen sehr anschaulich und differenziert auf. Zudem betont er, wie wichtig noch eine vierte Dimension ist, nämlich die Kultur, in der alle Triangulierungen stattfinden. Hiermit sind z. B. Erziehungs-Leitlinien gemeint oder der Zugang zu Bildungs-Ressourcen, aber auch die Verwischung von „Generationsbarrieren“ (S. 287).

 

Triangulierung in der Einzeltherapie?

Wie kann in einer dyadischen – also einer aus zwei Personen bestehenden – Therapiesituation Triangulierung stattfinden? In der Psychoanalyse beschäftigen sich Therapeut und Patient mit dem inneren psychischen Raum und damit, wie er sich zwischen ihnen entfaltet. Oft wird hierfür die Metapher einer Reise auf einem unbekannten Kontinent beschrieben, bei der dem Therapeuten die Rolle des kundigen Reisebegleiters zufällt. Manchmal beschäftigt sich der Psychoanalytiker damit, in dem seelischen Binnenraum die Symbolisierungen zu erahnen (dazu komme ich später noch). Manchmal geht es aber auch darum, einen solchen inneren Raum überhaupt erst aufzubauen oder seine Außengrenzen zu verstärken.

Wie sich das Dritte auch in einer dyadischen Behandlung entwickeln kann, beschreibt J. Benjamin im Konzept des „moralischen Dritten“ als eine Position, auf die sich zwei Individuen beziehen können. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Beziehung durch wechselseitige Anerkennung gekennzeichnet ist. Das heißt nach J. Benjamin, dass ein Mitempfinden mit dem jeweils Anderen möglich ist, aber in dem Wissen, dass beide über abgegrenzte Gefühls- und Wahrnehmungszentren verfügen. „Die Fähigkeit, innerlich seiner selbst gewahr zu bleiben und die Spannung auszuhalten, die sich daraus ergibt, dass sich die eigenen Bedürfnisse von denen des Patienten unterschieden, während man auf ihn eingestimmt bleibt“ (S. 75-77), bildet die Grundlage für das moralische Dritte. Wenn der Psychotherapeut in der Lage ist, innerlich den Bezug zu diesem psychischen Raum aufrechtzuerhalten, dann wirkt das auf den Patienten so lange beruhigend, tröstend und Reflexion ermöglichend, bis dieser den Raum auch in sich selbst entwickeln kann.

 

Internalisierung von Objektbeziehungen und Symbolisierung

Triangulierung bezeichnet also die Entwicklungsaufgabe des Kindes, aus dem äußeren ein inneres Beziehungsgeschehen zu entwickeln. Das Kind internalisiert seine Beziehung zu den wichtigen primären Bezugspersonen und damit alle zentralen Beziehungserfahrungen mit diesen Personen – ein Prozess, der für die Entwicklung des Denkens und Phantasierens in einem seelischen Binnenraum entscheidend ist.

Wenn der Aufbau dieses inneren Raumes gelungen ist oder wenn dies z. B. in einer Psychotherapie nachgeholt werden konnte, dann kann man – um in unserem Bild zu bleiben – selbst sein Zelt aufbauen und sich selbst das Halt gebende Gestänge sein bzw. das Zelt wiederaufbauen, wenn es mal wieder zusammengebrochen ist.
In diesem psychischen Innenraum können dann Symbolisierungen oder Symbole entstehen, die verwendet werden, um als Stellvertreter auf Abwesendes hinzuweisen. Dies können z. B. innere Bilder von Tag- oder Nachtträumen sein, die auf Unbewusstes hindeuten, oder auch kreative Prozesse zur Symbolbildung im Sinne von künstlerischer Kreativität und Sublimierung.

Abschließend bleibt zu sagen, dass die Fähigkeit zur Triangulierung und damit zur Symbolisierung eine zentrale Grundvoraussetzung für psychische Entwicklungen während des gesamten Lebens darstellt.

Verwendete Literatur:
J. Benjamin, 2006, Tue ich oder wird mir angetan? Ein subjektives Triangulierungskonzept. In: M. Altmeyer, H. Thomä, Die vernetzte Seele, Klett-Cotta, Stuttgart.
F. Dammasch, D. Katzenbach, J. Ruth (Hrsg.). Triangulierung, Denken und Handeln aus psychoanalytischer und pädagogischer Sicht. Brandes & Apsel (Frankfurt), 2008.
J. Grieser, 2011, Architektur des inneren Raumes. Die Funktion des Dritten. Psychosozial-Verlag. Giessen.
K. v. Klitzing, S. Stadelmann (2011). Das Kind in der triadischen Beziehungswelt. Psyche, 65(9-10), 953-972.
E. Löchel, Symbol und Symbolisierung. In: Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, W. Mertens, B. Waldvogel, 2002, 2. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart.
H. G. Metzger (Hrsg.), 2006, Die Psychoanalyse des Vaters, Brandes & Apsel, Frankfurt.
H. Segal, Bemerkungen zur Symbolbildung. In: E. Bott-Spillius (Hrsg.), 2016, 5. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart.