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Suizidalität – Was können Sie tun?

Beitrag von Ariane Velten - 9. September 2017

Auf die Doppeldeutigkeit der Worte „sich das Leben nehmen“ weist ein Supervisor von mir immer wieder hin. Denn sie können nicht nur „sich umbringen“ bedeuten, sondern auch: sich das Leben mit vollen Händen nehmen. Also: die eigenen unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte zu fühlen, anzuerkennen und neue Wege zu finden, damit umzugehen.

Manche Menschen kennen das Gefangensein in einer vermeintlich hoffnungslosen Verzweiflung, die nie mehr aufzuhören scheint. Gegen diese Qual scheint nichts anders zu helfen als der Wunsch, dem Leben ein Ende zu setzen. In diesem Zustand erscheint die Vorstellung von, wenn auch nur teilweise, erfüllbaren Sehnsüchten und Wünschen sehr weit entfernt – wie aus einer anderen Galaxie. Alles erscheint hoffnungslos, der jetzige Zustand ist nicht aushaltbar und eine Veränderung des Zustandes ist nicht in Sichtweite.

 

Suizidalität und Depression

Suizid-Gedanken und -Impulse entstehen häufig im Zusammenhang mit depressiven Krisen. „Depressive Störungen stellen die häufigste psychische Ursache für Suizide dar; ihre Prävalenz unter den Suizidenten wird, abhängig von der Form und dem Instrument der Erhebung und vom Alter, auf zwischen 30 % und 90 % geschätzt“ (S. 56, Leitliniengruppe Unipolare Depression).

Suizidalität steht auch häufig in Zusammenhang mit einer Borderline- oder einer komplexen Traumafolge-Störung.

Es können unterschiedliche Phasen der Suizidalität unterschieden werden: „Erwägungs-, Ambivalenz- und Entschlussphase“ (S. 56, Leitliniengruppe Unipolare Depression).

Die genauen Hintergründe, warum Suizidgedanken entstehen und warum die Verzweiflung so stark ist, sind sehr individuell und müssen in einer weiterführenden Therapie reflektiert werden. Wenn die Depressionen nachlassen, verschwinden in der Regel auch die Suizidgedanken. Manchmal kann es aber auch passieren, dass schon nach einer halben Stunde auch die massivsten, drängendsten Suizidideen einfach wieder verschwinden.

Deshalb sollten die folgenden lebenssichernden Maßnahmen im Fokus stehen:

Wie kann man eine suizidale Krise überleben?

Hilfreich dabei können folgende Vorgehensweisen sein:
Das Wichtigste sind emotionale Bindungen zu anderen Menschen. Nehmen Sie Kontakt zu Menschen auf, die Ihnen nahestehen. Für den Fall, dass Sie niemanden haben sollten, mit dem Sie Kontakt aufnehmen können oder wollen, gibt es verschiedene anonyme Telefon-Angebote, wie
z. B. die Telefon-Seelsorge https://www.telefonseelsorge.de, die bieten auch die Möglichkeit an zu chatten, wenn Sie nicht telefonieren wollen. Oder speziell für München und Oberbayern das professionelle Krisentelefon https://www.krisendienst-psychiatrie.de und speziell für München https://www.die-arche.de  oder das Artriumhaus https://iak-kmo.de .

Manche Psychotherapeuten bieten auch sogenannte Non-Suizid-Verträge an (im Sinne der Transference-Focused-Therapie nach Kernberg): Hierbei wird ausführlich besprochen und dann schriftlich festgehalten, was der suizidalen Krise vorausgeht, wie man ihr im Vorhinein schon entgegenwirken kann und was man tun kann, um mit diesen Gefühlen anders umzugehen. Das Herzstück dieses Vertrages ist das verbindliche Abkommen: anstatt sich tatsächlich etwas anzutun – alles zu tun, um das eigene Überleben zu sichern.

Hierbei sind verschiedene Strategien der Selbstregulation zu empfehlen: z. B. Joggen gehen; sich mit einem Gummiband um das Handgelenk kontrolliert Schmerzen zufügen; bei lauter Musik tanzen; Mandalas malen; Kneipp’sches Wechselduschen; oder kognitive Ablenkungsstrategien, wie in 7er-Schritten von einer beliebigen dreistelligen Zahl rückwärts zählen. Sinn all dieser Übungen ist, sich aus einem verzweifelt-destruktiven Zustand wieder lösen zu können. Die genannten Strategien sind lediglich Beispiele; was letzten Endes am besten für Sie passt, sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Therapeuten herausfinden.

Allerdings ist es grundlegend wichtig, über die entstehende therapeutische Vertrauensbeziehung ein gemeinsames Band zu knüpfen, welches die suizidale Krise zu überwinden vermag, bis man wieder neuen Lebensmut empfinden kann.

Manchmal ist aber auch dies nicht möglich, und es sollte unter Umständen eine stationäre Einweisung erwogen werden, wenn die ambulante Therapie nicht ausreichend ist. Die Behandlung in der Psychiatrie kann von den Betroffenen unterschiedlich empfunden werden; für manche ist sie ein Schutzraum, der hilft, das Überleben zu sichern.

Nehmen Sie Suizidgedanken ernst! Sprechen Sie mit jemandem und holen Sie sich psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe. Auch wenn es sich gerade anfühlt, als seien Sie mitten in einem dunklen Tunnel – wenn Sie weitergehen und sich helfen lassen, wird auch das Licht wieder zu sehen sein.

Ein ehemaliger Chef von mir sagte: Es braucht Mut, am Leben zu bleiben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Mut!

Verwendete Literatur:
DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression*. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression – Kurzfassung, 2. Auflage. Version 1. 2017 [cited: YYYY-MM-DD]. DOI:10.6101/AZQ/000366. www.depression.versorgungsleitlinien.de.
Mathias Lohmer (2013), Borderline-Therapie. Psychodynamik, Behandlungstechnik und therapeutische Settings, 3. Auflage, Schattauer, Stuttgart.
telefonseelsorge.de
krisendienst-psychiatrie.de
die-arche.de